Offener Brief an die Österreichische Bundesregierung

Die Bundesvereinigung der Milizverbände hat zur bevorstehenden Heeresreform einen Offenen Brief an den Bundeskanzler, Vizekanzler und sämtliche Mitglieder der Bundesregierung gerichtet. Gerne kommen wir dem Ersuchen der Bundesvereinigung nach, diesen Brief einer größeren Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen.


Milizverband

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
sehr geehrter Herr Vizekanzler,
sehr geehrte Damen und Herren der Österreichischen Bundesregierung!

Erlauben Sie, wenn wir uns in allergrößter Sorge um die Existenz unseres Bundesheeres als staatliches Sicherheitsinstrument an Sie wenden.

Unser Bundesheer ist in Folge jahrelanger unzureichender Dotierung und eines fehlgeleiteten Berufsheerkurses „am Boden des Fasses“ angelangt und kann mittlerweile seine gesetzlichen Aufgaben auch nicht mehr annähernd erfüllen.

Die österreichische Bevölkerung hat insbesondere nach dem klaren Wählervotum vom Jänner 2013 ein Recht auf eine funktionierende Landesverteidigung nach dem verfassungsmäßigen Wehrpflicht-Milizprinzip. Auch unsere Neutralitätverpflichtung sieht die Zurverfügungstellung aller „zu Gebote stehenden Mittel“ und nicht „die gerade verfügbaren“ Mittel vor.

Erlauben Sie, dass wir Mindestanforderungen an eine Bundesheerreform aus unserer Sicht formuliere.

1. Wehrpflicht-Milizheer statt Fortsetzung des Berufsheerkurses
Das österreichische Bundesheer ist gemäß unserer Bundesverfassung und dem klaren Bevölkerungswillen als Wehrpflicht-Milizheer aufzustellen. „Nach den Grundsätzen eines Milizsystems“ (Artikel 79 Abs. 1B-VG) heißt nicht, dass es auch eine Miliz gibt, oder als „Auffüllung“ eines aus Berufssoldaten bestehenden Präsenzheeres. Tatsache ist, dass der Berufs-Personalstand des Bundesheeres annähernd so groß ist, wie beim 280.000-Mann-Heer des kalten Krieges in den 70er- und 80er-Jahren. Es ist daher in der jetzigen Reform festzulegen, wie das neue Mischverhältnis zwischen Berufsstand und Milizstand (als Milizsystem) mittel- und langfristig gestaltet wird. Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, dass überzähliges Berufspersonal nach allen Regeln der Sozialverträglichkeit abgebaut wird und es nach Vorbild erfolgreich vorhandenen Systemen des Auslandes einzuführende Aussteigermodelle für Berufssoldaten geben soll.

2. Vorbild sollen Schweiz oder Finnland sein und nicht NATO-Berufsheerländer
In der Neutralität nehmen wir Anleihe am Schweizer System. Dort gibt es ein Milizsystem mit vier Monaten Grundausbildung und zwei Monaten Wiederholungsübungen. Der Berufskader beträgt dort 4.000 Mann, alles andere ist Miliz. Oder etwa Finnland mit nur 5 Mio Einwohnern bilden jährlich 27.000 Wehrpflichtige aus und berufen etwa die gleiche Anzahl jährlich zu Reserveübungen ein. In Finnland gibt es 350.000 Beorderte und nur 29 % Personalkostenanteil im Heeresbudget. Bei uns will nach neuesten Informationen der Generalstab nur noch Teile der Wehrpflichtigen einberufen, wir bringen keine Wiederholungsübungen zusammen, haben aber 70 % Personalkostenanteil.

3. Unkomplizierte Aufbietung der Miliz für alle Inlandsaufgaben
Alle nach der österreichischen Sicherheitsstrategie vorgesehenen Szenarien benötigen ein ausreichendes Bedarfsheer (ähnlich einer Freiwilligen Feuerwehr) und nicht eines Bundesheeres, das überwiegend aus ständig präsenten Berufssoldaten besteht.
Es sind daher die Rahmenbedingungen für eine unkomplizierte Aufbietung der Milizkräfte für alle Inlandseinsätze sicherzustellen.

4. Allgemeine Wehrpflicht
Der Hauptsinn der allgemeinen Wehrpflicht ist die Sicherstellung ausreichender Bedarfskräfte im jeweiligen Inlandsanlassfall. Ein Wehrsystem nach dem Milizprinzip ist daher so zu organisieren, dass wenigstens ein Teil der Wehrpflichtigen beordert wird, regelmäßig geübt wird und auch für Inlandsaufgaben tatsächlich eingesetzt werden (ansonsten haben wir ein Berufsheer mit Reserve). Die Ausbildung der Grundwehrdiener hat daher primär sinnstiftend für diesen Zweck ausgerichtet zu sein.

5. Sofortiger Stop weiterer Substanzvernichtung
Ein Heer nach Wehrplicht-Milizprinzip braucht relativ wenig Personalkosten aber mehr militärische Infrastruktur. Das unwiderbringliche Verschleudern von kleinen Kasernen in den Bundesländern und der Abverkauf von funktionsfähigen Gerätschaften und Fahrzeugen ist ein weiterer Schritt in Richtung Berufsarmee.

6. Inlandsaufgaben sind die Pflicht, Auslandsaufgaben die Kür
Jüngste politische Entwicklungen (Ukraine, Islamisierung, Migration, Gefahr von Blackout…) erfordern neben der ständigen Notwendigkeit für Naturkatastrophen möglicherweise auch wieder Grenzeinsätze oder Sicherungsdienste. Es muss daher wieder die Fähigkeit von feldverwendungsfähigen, selbständigen Milizeinheiten aufgebaut werden.

Sehr geehrte Damen und Herren der Österreichischen Bundesregierung, die bevorstehende Heeresreform muss einen Paradigmenwechsel zum Inhalt haben. Der Fortbestand eines verfassungs- und referendumswidrigen Systems führt entweder zum völligen Verfall unseres Heeres oder benötigt mittelfristig tatsächlich die von vielen geforderte Verdoppelung des Heeresbudgets. Dann wäre es aber ehrlicher, gleich die Bundesverfassung zu ändern.

Das Ihnen vorliegende Reformpapier wurde von den Experten des Generalstabes erstellt. Jenen Experten, die im Beratungsmonopol alle politischen Parteien, das Parlament und die jeweiligen Heeresminister beraten. Alle jeweiligen Reformumsetzungen der letzten 30 Jahre sind ebenfalls von dort zu verantworten. Wir sind der Meinung, dass gerade beim Themenkomplex „Militärische Landesverteidigung“ wieder mehr politische Führung und zivile Expertise bzw. Hausverstand zum Tragen kommen sollte.


Salzburg, 22. September 2014                                                                  Dr. Michael Schaffer, Bgdr e.h.

                                                                                                                               (Präsident)