Berufsheer ein Auslaufmodell - Zukunft im Milizheer ?

Das Erkennen der großen Schwächen der bisherigen Berufsheermodelle in Europa führt zu vermehrten Forderungen von Sicherheitsexperten, die Reservisten- und Milizkonzepte intensiv zu aktivieren.


Oberst aD Dr. Volker ZIMMERMANN befasst sich als international tätiger militärischer Sicherheitsexperte eingehend mit den zukünftigen Bedrohungsformen, die für Europa Relevanz haben. Seine Analysen fanden auch kürzlich bei einer acht Staaten umfassenden europäischen Sicherheitskonferenz in Italien ihre Bestätigung. Aus den neuen Bedrohungsszenarien ergeben sich Konsequenzen für Rekrutierung und Organisation von Streitkräften. Oberst Zimmermann berichtet über einen wesentlichen und grundsätzlichen Aspekt, der nicht nur für Österreich, sondern auch für die weiteren Staaten der Union seine Gültigkeit hat. Schließlich kommt es innerhalb Europas auf Zonen gleicher Sicherheit an. (ACL)

Die österreichische Bundesverfassung gebietet die Organisation des Heeres nach den Grundsätzen eines Milizsystems. Ebenso ist dort die Allgemeine Wehrplicht verankert. Um einen Koalitionskonflikt zwischen der SPÖ und der ÖVP zu vermeiden, fühlten sich diese beiden Parteien bemüßigt, zusätzlich zur bestehenden Verfassung das Volk zu 'befragen'. Wie immer man diese Vorgehensweise beurteilt, hat diese Volksbefragung vom Jänner 2013 in Österreich ein weiteres klares Bekenntnis zur allgemeinen Wehrpflicht gebracht, deren Vollziehung im Sinne der Verfassung natürlich auch nach dem Grundwehrdienst die darauf folgenden periodischen Milizübungen (Truppenübungen) zu umfassen hat. Das Offiziers-und Unteroffizierskader hat seine zusätzlichen Übungen (Kaderübungen) auf freiwilliger Basis zu leisten.

Einige Kommentatoren in den Medien und gar nicht wenige Ministeriums- und Heeresangehörige selbst sehen darin einen großen Fehler. Warum eigentlich?

Die großen weitgehend stehenden Armeen waren stets ein Instrument der gewaltsamen Konfliktlösung, der aggressiven Landnahme oder der Unterjochung anderer Völker. Da man stets glaubte vor anderen Nachbaren auf der Hut sein zu müssen, nahm das Wettrüsten nie ein Ende. Europa war Jahrhunderte lang Schauplatz dieser Einstellung.

Das Ende des sogenannten 'Kalten Krieges' in Europa durch Wegfall des 'Eisernen Vorhangs' ließen Anfang der 90er Jahre die Erkenntnis reifen, dass dauerhafter Wohlstand und positive Entfaltung nur dann möglich sind, wenn die Geisel des Krieges verbannt wird. Der positivste Gedanke der EU ist daher ohne Zweifel der einer Friedensunion, in welcher die Völker so intensiv zusammenwachsen sollen, dass Kriege nicht mehr stattfinden könnten. Konflikte sollten in Zukunft nie mehr durch militärische Gewalt sondern durch ein Bündel von friedlichen Anstrengungen gelöst werden.

Wozu also noch stehende Heere?



Ein Teil der Staaten Europas hat als Ergebnis der Einlösung der sogenannten Friedensdividende, die in Zeiten des Kalten Krieges Unsummen an Rüstungsausgaben vor allem für Berufskader-Rahmenheere verschlungen hat, auf kleinere Berufsheere für zukünftige "out-of-area Einsätze" (Stichwort Afghanistan) umgestellt, ohne allerdings den Schutz der eigenen Bevölkerung im Territorialprinzip wirklich zu gewährleisten. Das Ergebnis dieser Berufsheerkonzeption war, und ist durchaus ernüchternd. Lässt man den Potemkin PR-Effekt weg, auf den man bei offiziellen Besuchen gerne setzte und blickt man hinter die Fassaden, sieht es gar nicht gut aus. Kaum wo gab es mehr Geld, der Zustrom an Freiwilligen blieb eher bescheiden bis absolut ungenügend, die Überalterung wurde teilweise zum gravierenden Problem, die erhoffte Qualitätssteigerung ist kaum erkennbar, der Frust in den Truppen unüberhörbar.

Kein Wunder. Berufsheere haben die immanente Tendenz sich im Kampfeinsatz bewähren zu wollen. Was tun wenn es in Europa keine Kriege mehr gibt? Man konstruiert abenteuerliche Begründungen wie „Europa wird am Hindukusch verteidigt“ oder beruft sich auf die Notwendigkeit von zahlreichen „Friedensmissionen im Ausland“ und unterliegt dem lächerlichen Wahn als europäischer Weltpolizist in anderen Kontinenten wirken zu können.

Die Realität ist hart aber klar. Europa ist nur dann gefragt wenn es die Großmöchte erlauben und ihre Ressourcen zu Verfügung stellen. Zum aktuellen Zeitpunkt ist das EU-Territorium kaum direkt bedroht. Man muss sich allerdings für zukünftig mögliche Bedrohungsszenarien wappnen und für den jeweiligen Bedarf auszubilden. Das bedingt Soldaten, die erst im Bedarfsfall zu aktivieren sind. Die heutigen (stehenden) Berufsheere sind also ein unnötiger - und praktisch nicht finanzierbarer - Luxus.

Ganz akute Einsatzszenarien sind - außer z.B. der Luftraumüberwachung und des militärischen Nachrichtendienstes - praktisch nicht vorhanden. Allerdings gibt es zahlreiche potenzielle Bedrohungen, für die man Truppen aus- und weiterbilden muss. Im jeweiligen Bedrohungsfall sind sie in adäquater Größe und Fähigkeiten als Bedarfskräfte in Dienst zu stellen.

Als strategische Reserve sind die potenziellen Einsätze dieser militärischen Kräfte - in Zusammenarbeit und in Ergänzung - gemeinsam mit zivilen Hilfskräften vorzusehen. Früher nannte man das in Österreich die Umfassende Landesverteidigung - ein Konzept das heute mehr denn je seine Gültigkeit hätte. Die Einsatzerfordernisse zusätzlicher militärische Kräfte können bei der Bewältigung von inlandswirksamen Bedrohungen in den betroffenen EU-Staaten, auch Kräfte und Fähigkeiten verlangen, die vom Umfang und auch hinsichtlich notwendiger ziviler Spezialkenntnisse in Berufsarmeen nicht, bzw. kaum vorhanden sind.

Diese Berufsheerkonzeptionen sind also letztlich Auslaufmodelle, da einerseits zu teuer, andererseits zu klein und von eingeschränkter Effizienz.

Milizarmeen sind die bessere Lösung !


Das Wesen des Milizsystems mit allgemeiner Wehrpflicht besteht in einer kurzen Grundausbildung und darauf folgenden, über einige Jahre verteilten, weiteren Übungen bis zum Ende des Wehrdienstes, der wiederum je nach Funktion gestaffelt sein kann.

Der Milzsoldat ist beorderter Teil seines Verbandes, der damit auch seine militärische Heimat ist. Milzverbände können flexibel eingesetzt und einberufen werden - je nach Anlassfall. Höhere Intensität mehr, geringere Intensität weniger. Eine intelligente Streuung der Übungen gewährt permanent Kräfte, die greifbar sind. Sie verursachen kaum stehende Kosten, da die Regelkosten ja nur bei den Übungen und im Einsatz anfallen - im krassen Gegensatz zum Berufsheer, das  viel kostet auch wenn es nicht eingesetzt ist.

Selbst Auslandseinsätze, falls erforderlich, lassen sich - wie gerade das Österreichische Beispiel zeigt - auch sehr erfolgreich mit freiwillig teilnehmenden Milizsoldaten bewältigen.

Neben dem psychologisch wichtigen Faktor der tiefen Verankerung in der Bevölkerung ist die Ausschöpfung der vielfältigen zivilen Fähigkeiten von Milizsoldaten, die sonst nur extrem teuer zugekauft werden müssten, ein nicht zu unterschätzender Faktor. Das Heer wird damit ein integraler Faktor der Gesellschaft und gerät nicht in eine Ghettolage als Staat im Staat unseligen Angedenkens.

Der Personalanteil an Berufssoldaten oder Längerverpflichteten kann außer der Luftraumüberwachung, Schulpersonal und gewisse Infrastrukturerhaltung sowie bestimmte Schlüsselpositionen wesentlich geringer angesetzt werden. Der Überalterungsfaktor fällt weitgehend weg, die Personalkosten bedeutend reduziert und die Gesamtkosten für das Militär werden damit - im Gegensatz zu jetzt - mit dem Bedarf in Einklang gebracht. Dem Argument, dass moderne Waffensysteme nur mehr hochqualifizierte Spezialisten brauchen, ist insofern leicht zu begegnen, als eben diese System extrem benutzerfreundlich konstruiert sind, vom Waffenbediener selbst nicht mehr repariert werden können und in Masse in Österreich ohnedies nicht vorhanden sind. Außerdem sind. professionelle Spezialisten in verschiedenen, besonders auch hochtechnisierten Bereichen, vor allem im Zivilbereich zu finden !

Fazit: Berufsheere sind das Auslaufmodell; die bessere Lösung ist das Milizsystem.


Dr. Volker Zimmermann, Oberst aD