Verzerrte österreichische Wirklichkeit

Ist die Wirklichkeit nicht wirklich wirklich - oder ist sie es doch?


Wenn Wirklichkeit das ist, was wir mit unseren Sinnesorganen registrieren, ist wirkliche Wahrnehmung in Fragen der Sicherheitspolitik nach objektiven Kriterien  nur schwer möglich – mitunter unmöglich. Ganz besonders in Österreich. Der neue Nationalrat und die Regierung sind gefordert!

HeldenplatzZuviel wird verzerrt. Mitunter durch Politiker, denen es gar nicht um die Sache geht. Bestärkt durch Sekretäre und mitunter durch uniformierte Beamte, denen es eher darum geht, ihrem politischen Förderer loyal zu sein, denn der Sache. Oft werden gar Scheinflughäfen oder potemkinsche Dörfer aufgebaut, um über die wahren Verhältnisse hinwegzutäuschen oder den Fokus des Wählers auf weniger Wichtiges zu lenken. Zumeist bleibt es in der politischen Realität ohnedies bei Pressekonferenzen  und Ankündigungen, deren Umsetzung kaum kontrolliert werden .

Da bedarf es einiger Erfahrung, zu erkennen, was Gaukelei oder ehrlicher Gestaltungswille ist. Aus der Pleite einer Volksbefragung (Anm.: aus Sicht der  Berufsheerprotagonisten) versucht man, Gewinn zu machen, beruft großartig Arbeitsgruppen ein, bemüht sich um den Anschein, nicht nur im internen „Saft zu braten“ und zieht als Feigenblatt genehme Repräsentanten von außerhalb hinzu. Zuletzt verkündet man ein Ergebnis zu einer Sache, über die weder „volksbefragt“, noch abgestimmt wurde. Dass dabei ein sich auf dem Irrweg befindliches System nicht besser wird, fällt nicht auf. Der Fokus richtet sich ja auf eine Attraktivierung des Grundwehrdienstes, was eine jahrzehntelang eine unerfüllte Expertenforderung ist. Dass dabei jedoch das System, in dem junge Wehrpflichtige dienen, laufend schlechter wird, kümmert die Öffentlichkeit (und damit auch die Politik) kaum.

Bundesheer-Reform 2010: Den Bach hinunter ...

Es geht zwar das Geld aus, um die derzeitige „erfolgsbeschworene“ verfassungswidrige Situation finanzieren zu können. Ja manch hoher „Würdenträger“ bezeichnet die Restbestände einer Armee gar als „gelungenes Mischsystem“. Darüber hinaus werden in dieser sogenannten“ Erfolgsstory“ die Planstellen dramatisch weniger – gleich um 4.000. Anstatt jedoch sich des gesetzlichen Auftrags zu besinnen, ein Milizheer zu organisieren, wird gejammert. Vermutlich deshalb, weil die Gehilfen der Politik noch immer davon träumen, das, wovon sie vor dem Referendum vom 20. Jänner 2013 überzeugt waren (und insgeheim heute noch sind), Wirklichkeit werden zu lassen. Am liebsten als Miniaturausgabe einer Präsenzarmee, die keiner im Lande braucht, aber mit der sie glauben, im Konzert der Streitkräfte großer Mächte mitspielen zu können - eine Art rückwärtsgewandter Größenphantasie. Dabei schielen sie zum deutschen Nachbarn, wo man trotz Mitgliedschaft im Bündnis der NATO erkannt hat, dass die Heimat nicht am Hindukusch verteidigt wird. Und bis in die Schweiz oder nach Finnland scheint ihr Blick nicht zu reichen.

Ihr Verstand müsste ihnen sagen, dass es unter den österreichischen Rahmenbedingungen in nächster Zukunft nie und nimmer möglich sein wird, ihre Träume von einem Berufsheer umsetzen zu können. Obwohl das Gesetz eine Wehrpflichtmiliz gebietet, werden für diese lediglich Alibihandlungen gesetzt. „Mit Freiwilligen“ will man nun dem Auftrag des Gesetzgebers nachkommen – wohl wissend, dass dies nicht machbar ist. Möglicherweise mit der Absicht, irgendwann aus „weiser Einsicht“ den politisch Verantwortlichen den Rat erteilen zu können, dass man andere gesetzliche Vorgaben brauche. Damit wären dann  - entgegen dem klaren Volkswillen - die Weichen für einen Einstieg in ein Militärbündnis mit einer Söldnertruppe möglich. Als Draufgabe mit neun Militärmusikkapellen für eine EU-Streitmacht, die es nicht gibt.

Man kann einen Fisch streicheln, dann stirbt er auch ...

So versuchen sie, durch Aufrechterhaltung des Status quo mit der Methode „Loch auf/Loch zu“ sich über die Runden zu retten und hoffen dabei (aus den Lehren der Vergangenheit) auf einen ahnungslosen oder gar desinteressierten Minister, der dankbar ihre Ratschläge annimmt. Ratschläge, die freilich alles andere zu sein scheinen, als den Auftrag des Gesetzgebers zu erfüllen und das Heer nach dem Grundsatz einer Wehrpflichtmiliz zu organisieren. Die Methode dabei: Man muss nur entsprechend Geduld haben und weiterhin so tun, als sei allein mit der Behauptung „die Miliz sei ein integrierter Teil des Heeres“ der Auftrag des Gesetzgebers erfüllt. In Fortsetzung bisheriger Verhinderung wird man dieser Miliz weiterhin keine Mittel zukommen lassen und  auf eine Freiwlligkeit (die es nicht einmal in der Schweiz gibt) setzen, um danach den politisch Verantwortlichen beratend erklären zu können, dass "Miliz nicht geht“.

Dass man dabei einen Kurs zur Gestaltung persönlicher Vorstellungen vom Militär fährt, bleibt von der Öffentlichkeit unbemerkt. Dort sind gar aus Politikermund Worte zu vernehmen, mit denen stolz auf den Zustand des Heeres hingewiesen wird - natürlich unter Betonung der eigenen wichtigen Rolle als Verantwortungsträger. Geflissentlich wird dabei übersehen, dass man die Verpflichtung hätte, ein Gesetz zu exekutieren, das eine Wehrpflichtmiliz gebietet. Darauf angesprochen staunen sie, als hätten sie erstmalig vom Gebot der Bundesverfassung gehört. Und ihre Worte „des derheb’m ma net" können wohl - so nicht Eingeständnis des eigenen Versagens - als Entschuldigung vorgebracht werden. Vermutlich dafür, dass sich Politik für sie auf eine Auseinandersetzung um Stimmenanteile reduziert hat, in der man dem Populismus huldigt. Dass es ihre Aufgabe jedoch wäre, Notwendiges populär werden zu lassen, wollen sie nicht erkennen.

Eine Regierung hätte Gesetze zu vollziehen

Das Schlimme dabei: Es wird mit einem nicht funktionierenden Mischsystem weitergepfuscht. Man muss nicht Lao-tse sein, um zu erkennen, dass Politiker nicht nur das verantwortlich sind, was sie getan haben. Sie sind auch für ihre Unterlassungen in die Pflicht zu nehmen.

Dem Parlament und der Regierung scheint es bislang egal, dass in Belangen der militärischen Landesverteidigung das Gesetz missachtet wird. Das Heer, das selbst nach Alarmierung von der Stärke her freilich längst keines mehr ist und das dennoch manche hochtrabend als „Streitkräfte“ bezeichnen, „tümpelt“ weiter verfassungswidrig dahin. Dabei wird Steuergeld in der Höhe von zwei Milliarden Euro „verbrannt“. Vom Souverän bzw. seiner Vertretung vernimmt man jedoch nur Schweigen, weil ja in der Vergangenheit „stets alle Aufträge erfüllt wurden“. Welche (an den Einatz an der Staatsgrenze zum ehemaligen Jugoslawien sei erinnert) und wie, bleibt dabei unhinterfragt.

Verzerrte Wirklichkeit und wirkliche Wirklichkeit scheinen unter der Heranziehung von Wunschannahmen eins zu sein. Phantasien von einer "sich allenfalls entwickelnden europäischen Verteidigung" werden gar zur Planungsgrundlage. Verschönernd wird von einem "Fähigkeitserhalt bzw. dessen Rekonstruktion im europäischen Verbund" gesprochen. Fallen jedoch in der Stunde eines gebotenen Einsatzes die verschönenden Annahmen weg, folgt bekanntlich (nicht erst seit Watzlawicks Erkenntnissen) als Katastrophe der Zusammenbruch. Der neue Nationalrat und die von ihm zu kontrollierende Regierung scheinen mehr als gefordert, ehe es zu spät ist … MG